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Sonntag, 14. August 2016

Der Kongress tanzt



 
Es ist ebenso langweilig wie müßig, den aktuellen Zustand des deutschen Films zu beklagen, schließlich wurde dies an anderer Stelle von klugen Leuten schon sehr umfassend getan. Nichtsdestotrotz bietet Erik Charrells musikalische Liebeskomödie rund um den Wiener Kongress (in Geschichtslehrbücher auch gerne als „Die Neuordnung Europas“ übertitelt), „Der Kongress tanzt“ Anlass zu betrauern, was dem deutschen Kino mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus (wenn dies natürlich auch eher eins der geringeren Schrecken darstellt) verloren gegangen ist.


Der ganze Film scheint von einer Beschwingtheit und Musikalität durchdrungen, die sich im Nachhinein natürlich leicht als eine Art Tanz auf dem Vulkan angesichts des aufkommenden Faschismus lesen lässt, jedoch in den besten Momenten des Films zu einer kaum gekannten Offenheit findet. Wunderbar der Moment, in dem sich der enttäuschte Liebende, der dafür sorgen muss, dass sich seine Angebetete mit dem russischen Zaren vergnügt, bei der Befehlsentgegennahme mit einer Schreibfeder eine Träne aus dem Augenwinkel wischt; wundervoll wie die große Lilian Harvey, die eine im wahrsten Sinne des Worts Starperformance liefert, mehrfach ihre Sitzposition überdenkt, in der sie ihren geliebten Zaren empfangen möchte – das muss ein Stück vom Himmel sein, wie es in einer der zahlreichen, extrem aufwendig choreographierten und gefilmten Musiknummern heißt. Ohnehin die Musik: Auch wenn es häufig dazu verleitet, in ungute Nostalgiegefilde abzugleiten, hat die melancholische Lebensfreude der Lieder einen einnehmenden, gar mitreißenden Charakter. Unterstützt wird dies durch die extraordinäre Spielfreude der umwerfenden Darsteller, angeführt von der bereits gelobten Lilian Harvey, der leider nie eine große Hollywood-Karriere vergönnt war, obschon sie eigentlich beste Voraussetzungen für eine solche hätte haben sollen, bis zum bittersüßen Ende.

„Der Kongress tanzt“ ist ein schöner Blick in eine Vergangenheit, in der noch alles möglich schien, in der deutsches Kino nicht zuletzt Offenheit bedeutete und an dieser Stelle muss man vielleicht doch in Nostalgie verfallen. Vielleicht gibt es so eine Freiheit im Kino wirklich nur einmal und diese Zeit kommt nie wieder – schließlich hat auch jeder Frühling nur einen Mai.

Dieser Text wurde von David Schepers(@fantazeromane) verfasst.

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